(K)eine Angst

Bella hat Migräne heute.

Zur Zeit wieder öfter.

Natürlich beutelt es sie. Sie hat Schmerzen.
Und so nimmt sie ein Medikament und geht in die Wanne.
Lässt sich sehr heißes Wasser ein und kippt drei Esslöffel basisches Badesalz mit hinzu.
Das Wasser ist sehr heiss.
Doch es hilft ihr.
Diese Hitze begegnet der Hitze im Kopf … das funktioniert nach dem homöopathischen Prinzip:
Gleiches heilt Gleiches.
Auch sich mit dem Kopf auf eine kochend heiße Wärmflasche zu legen, hilft in der Regel.
Dann sind zwar hinterher leichte Verbrennungen auf der Haut zu sehen (die gehen aber nach ein, zwei Stunden wieder weg), der Schmerz indes wird übertönt … und so unwahrscheinlich es klingt, wenn die Migräne im vollen Gange ist – etwa nachts, und Bella davon wach wird – wenn dann auch die Medikamente nicht mehr helfen, ist die heiße Wärmflasche das Einzige, was diesem Schmerz die höchste Spitze nimmt. Manchmal schläft sie dann auf der heißen Unterlage sogar noch einmal ein.

In der Wanne ist es ähnlich.
Der Nacken schmerzt.
Der ganze Hinterkopf dröhnt.
Also schnell untergetaucht, die Ohren unter Wasser … und erst mal versucht, zu entspannen.
Und da Wasser einfach Bellas Element ist, kommen sehr schnell Gedanken und Gefühle.
Zuerst Gefühle.
Jene, die im normalen Alltag einfach nicht auftauchen.
Im Wasser hat Bella einfach keine Chance.
Irgendwie bahnt sich da das Unterbewusstsein immer seinen Weg.
Und Bella fühlt … und spürt … und weint ein bisschen.

„Keki?“

„Ja, Bella?“

„Ich kann doch eigentlich meiner Migräne dankbar sein.“

„Ach …“

„Ja. Der Gedanke kam mir vorhin. Die Migräne ist doch eigentlich so was wie eine unliebsame Freundin. Sie macht mich darauf aufmerksam, dass etwas nicht im Gleichgewicht ist. Und so sehr ich versuche, das zu übersehen, es zu übertünchen … es nutzt nix … Letztendlich zeigt mir der Körper doch, dass etwas nicht stimmt.“

„Und was stimmt nicht, Bella?“

„Na ja … ich bemerke, wie sehr ich mich gerade wieder abschotte. Wie ungern ich unter Menschen bin. Vor allem: wie sehr ich mich selbst nicht leiden kann. Ich tue alles, um das nicht zu merken … doch ich beobachte mich ja … ich esse zu viel … ich trinke zu viel … ich konsumiere, um mich nicht spüren zu müssen. Ich will am liebsten weg sein. …
Das ist mir vorhin klar geworden.
Da liegt so ein ungeheurer Selbsthass auf mir.
Ich las diesen Satz: >Liebe den nächsten, wie dich selbst< …
Und ich weiß, es ist so gemeint, dass man sich zuallererst erst mal selbst lieben muss, um dann andere lieben zu können …
Und ich frage mich, wie das geht.
Ich kann mich nicht selbst lieben.
Ich habe mich noch nie selbst geliebt.
Ich sitze hier und heule, weil ich mich so elend fühle …
und ich weiß, ich mache das selbst …“

„Bist du sicher, Bella?“

„Ja. Ich lasse zu, dass ich das noch immer von mir glaube.
Dass ich noch immer denke, ich kann nichts, ich bin nicht gut genug … ich mag diesen Körper nicht … obwohl es doch der einzige ist, den ich habe. Wie will ich das Leben meistern, wenn ich diesen Köper so ablehne? Wie kann das alles gehen, wenn ich mich noch immer nicht akzeptiere – so, wie ich bin … mit all meinen Schwächen … und vor allem: mit all meinen Fähigkeiten?
Diese verleugne ich ständig … es macht mir Angst, sie im Geiste durchzuspielen und mir die Vision zu erlauben, ich könnte meine Fähigkeiten wirklich einsetzen.
… Ich bin noch immer so verdammt darauf ausgerichtet, alles richtig zu machen, dass ich mich total starr verhalte, aus Angst, das Falsche zu tun.
Ich merke selber, wie sehr ich mich damit blockiere. Wie sehr ich dadurch den Stillstand forciere.
Ich merke, wie ich Andere verurteile, mich von ihnen nicht gesehen fühle, weil ich mich selbst nicht akzeptieren kann …“

„Bella … es ist so gut, dass du das aussprechen kannst. Dass du eine Idee davon hast … auch, dass du hier in der Wanne sitzt und weinst, und nicht genau weißt, warum eigentlich …
Aber das ist der erste Schritt: Immer wieder: mit dem Gefühl fängt es an. Lass es einfach zu.
Lass jedes Gefühl zu.
In dem Maße, wo du dir bestimmte Gefühle nicht erlaubst, verlierst du die Lebendigkeit – du sagst es selbst.
Du kannst all deine Schönheit in dir nur erkennen (und in anderen), wenn du auch alle Hässlichkeit in dir akzeptierst … sie ist da. Nimm sie wahr. Du musst sie nicht gutheißen, doch nimm sie wahr … Sie zu leugnen, bedeutet, dich von deinem göttlichen Energiefluss abzuschneiden …
Denke an Yin und Yang … alles ist gleichzeitig da.
Mit der Leugnung der negativen Gefühle kippst du in eine destruktive innere Spaltung.
Alles Destruktive kann sich wandeln, wenn ihm Raum gegeben wird. Erst indem du es wegsperrst und einem Ideal hinterher jagst, das du niemals erreichen kannst, zahlst du den Preis von Schuld, Scham, Selbsthass und Selbstbehinderung.
Lass dich frei …
Wenn du alles annimmst … kann sich alles wandeln.
Du wirst dann einfach fühlen, wie die Selbstverantwortung zurückkommt, wie die Kraft zu dir zurückströmt.
Die Schönheit ist erkennbar in dem Maße, wie die Schatten integriert werden.
Erlaube dir Fehler … denke nicht soviel nach … los … spring …“

„Das sagst du so einfach. Doch ich habe Angst.
Ich hatte früher nie Angst … vor nichts …
Und nun machen mir die kleinsten Entscheidungen, die an mich herangetragen werden Angst.“

„Das ist normal in deiner Situation.
Alles hat sich verändert. Nichts ist, wie du es kennst … die Zukunft liegt noch im Nebel.
Vertraue darauf, dass deine innere Verwurzelung dich hält.
Glaube mir … Ich bin jener vitale Teil in dir, der schon alles weiß …
Es gibt unendliche Möglichkeiten im Universum … folge einfach deiner Lust … deiner Freude …
So lange du glaubst, dass du reifen musst, irgendetwas überwinden musst, wirst du weiterhin in diesem falschen Glaubenssystem festhängen.
Es stimmt nicht.
Wenn du daran glaubst, dass jedwede Veränderung möglich ist … dann ist es so …
Es ist ganz einfach.“